Der Durchschnittsdeutsche

 

Herr Seckenpiel, von Stand und Ansehn Mann,
ein Angestellter bei dem Ministerium,
beweist der Welt, was er so stemmen kann.
Man staunt, der gute Mann ist ein Mysterium!
Was bringt Herr Seckenpiel wohl nicht zustande?
Er pfuscht herum in Lehrbüchern der Kinder,
er kommt mit Paragraphen schnell zu Rande,
und wenn er Zeit hat, mimt er den Erfinder.

Herr Seckenpiel, der kennt sich bestens aus.
Sei es in Rom die letzte Kirchenpredigt,
sei es der Rosenkavalier von Strauss,
die hat er fix, im Handumdrehn, erledigt -
er weiß die Antwort, was man ihn auch fragt.
Herr Seckenpiel ist unser großer Macher,
dabei ist er schon kahl und leicht betagt.
Er weiß Bescheid, kennt seine Widersacher.

Am Rande, das sei bitte nicht vergessen,
verschlingt er Nietzsche und den Kant,
will sich mit Rilke oder Goethe messen,

er ist von Kopf bis Fuß ein Dilettant.
Er schwitzt Poeme, öfter auch Gedichte,
hat sogar Meinung, wo er gar nichts weiß.
Bald geht er ein in Mommsens Weltgeschichte,
so dankt man seinem hehren Dichterschweiß.

Herr Seckenpiel ist gerne auch politisch.
Treu national, das sagt ihm der Verstand.
Beäugt, was links ist, allerschärfstens kritisch,
er liebt nun mal sein deutsches Vaterland.
Wer diese Welt ganz anders sieht als er,
ist von der Blage, die er herzlich hasst,
der hat’s bei Seckenpielen grottig schwer –
Herr Seckenpiel ist eben kein Phantast.

 

27.4.14 

 

Der Unangenehme

 

Man kennt so manchen, den man gar nicht mag.

Dann fragt man sich, wie war denn der als Kind?

Und wenn man in sich sucht und sich besinnt,

ist klar: Der ist von einem andern Schlag.

 

Und man beschließt: Dem gehst du aus dem Weg.

Der hat mit dir verdammt doch nichts zu tun.

Ist der denn mehr als nur ein dummes Huhn?

Wo dir der Kopf sitzt, hat der bloß ein Leck!

 

Wie der dich ansieht! Was denkt der sich dabei?

Mit dem hat keiner Murmeln einst gespielt.

Na klar, du hast‘s von Anfang an gefühlt,

dass dem was fehlt. Der ist ein Kuckucksei!

 

Erklären kann man’s nicht. Man weiß es bloß:

Der hat zu tun mit seinem Über-Ich.

Vielleicht auch einen kleinen Sonnenstich?

Der arme Mensch, der arme Trauerkloß.

 

20.1.17

 

Die Intrigantin

 

Wem ist solch Frauentyp noch nicht begegnet,

der immer nur das Böse will und intrigriert,

und wenn man dem ein Widerwort entgegnet,

wird es sogleich ins Gegenteil frisiert –

ein übles Weib, dem’s in die Suppe regnet,

das liebend gern die andern kommandiert?

Das kollert nichts als nur gestanztes Blech,

und wem es übern Weg läuft, der hat Pech.

 

Man sollte diesen Frauentyp schnell meiden,

man geht ihr aus dem Weg, sofern man kann.

Und ist man klug und dazu noch bescheiden,

spürt man im Nu, die mimt hier den Tyrann

und kann nur Stiefelküsser wirklich leiden,

vom selben Schlag, egal, ob Frau, ob Mann.

Wer seine Zeit mit der nicht will vergeuden,

der pflege andern Umgang, das in Freuden.

 

11.1.17

 

Die Angepassten

 

Sie tragen Menschenantlitz und sind nett,
fast täglich kommen sie dir in die Quere,

sei es im eignen Haus, sei es im Internet.
Viel halten sie von Geld und Mannesehre.

Sie sind der Glitzerwelt zutiefst ergeben,
der telegene Schein geht über alles.
Das Business aber ist das wahre Leben,
ergibt viel Sinn im Falle eines Falles.

Gekleidet sind sie nach der schicksten Mode,
der goldne Siegelring ist Markenzeichen.
Sie wirken maskenhaft auf dich, marode
wie unbegrabne, wahre Friedhofsleichen.

Man ist geübt im schlichten Halsabschneiden,
sie pochen auf Verträge, Wertpapiere.
Nicht immer lässt es gänzlich sich vermeiden,
dass sie sich häufen vor der Wohnungstüre.

Und sitzt der Herr dann vor dir ernst im Sessel,
begreifst du erst, wie arm der Ärmste ist,
die Firma drückt auf ihn wie eine Fessel.
Du spürst: Der Mann war niemals Anarchist.

 

28.4.14

 

Der Nonkonformist

 

Du, halt die freche Schnauze, pass dich an!
Dir wird bestimmt dann Gutes nur passieren.
Mach’s einfach so wie jeder brave Mann,
den kann auf lange Sicht doch nichts genieren.
Vielleicht begreifst du dann noch irgendwann,
nur so kann man im Leben reüssieren.
Doch bist du weiter klüger als die Pferde,
zerstampft dich bald die angepasste Herde.

 

28.4.14

 

Der Abwarter

 

Der Tag, erstanden aus dem Rest

des Gestern, läuft den Uhren nach.

Du hältst dich an Sekunden fest,

du weißt noch, wie das Dunkel sprach.

 

Du wähnst dich ausgeruht und wach,

es plagt dich nirgendein Gebrest,

du lauschst dem Sang der Amsel nach,

das Jetzt ein Frühlingsfreudenfest.

 

Und irgendwann begreifst du schwach,

der graue Tag besetzt dein Nest,

es droht dir nichts als Ungemach,

doch das verneinst du felsenfest.

 

Denn klüger sei man erst danach.

 

24.9.12/18.5.14

 

Der Realist

 

Dein Leben, wie es ist, kränkt dich nicht mal.

Du glaubst an Ehre und den Sieg des Guten,

verteidigst dich: Hat man denn eine Wahl?

Das ganze Dasein, schließlich, kennt Statuten.

 

Ja, früher! Da warst du noch viel zu jung!

Du glaubtest fest, zu leben sei ein Spiel,

da gingst du ran mit Herz, Elan und Schwung.

Jetzt sagst du dir: War ziemlich infantil.

 

Die Zeit verläppert sich, sie fließt dahin.

Aus großen Helden wurden kleine Kriecher.

Dahin, dahin, was einst der hohe Sinn!

Heut schreibst du heldenhafte Tagebücher.

 

26.5.13/14.5.14

 

Der Opportunist

 

Wieviel verliert man doch im Lauf der Jahre

von dem, was einst man nannte seinen Traum.

Nicht nur, dass grau dir wurden deine Haare,

wer jung dich kannte, der erkennt dich kaum.

 

Erfahrung, meinst du, ist die Kraft der Klugen,

dir bleibt vom schönen Traum ja noch ein Rest.

Ich glaube gern, dass sie dir Wunden schlugen,

nicht jedermann besteht den Härtetest.

 

Was ist von deinem großen Traum geblieben?

Da kommt nichts mehr, dein Kämpferherz ist tot.

Einst wolltest du die ganze Menschheit lieben,

jetzt kämpfst du bloß noch mit der Atemnot.

 

1.12.13

 

Der Hybrid

 

Die Frage treibt dich um:

Wann beginnt der Mensch

zu sterben? Du lebst

und willst noch Jahre leben,

die Freunde grüßen dich,

das Mahl steht auf dem Tisch,

und der Duft einer Rose bringt dich

mitunter zum Weinen.

 

Kein klinischer Tod,

du wirst dein Testament nicht

schreiben müssen, unbeschwert,

frei von Qualen wirst du sterben;

doch kühl der Gruß der Freunde,

das Mahl mundet nicht mehr -

und dann ein Tag, an dem

blickst du ins eigene Grab.

 

Dein Sterben begann,

als du nicht mehr wusstest,

wen lieben, wen hassen,

als du dich selbst verleugnetest

und die Wärme der Mitte suchtest;

und als sogar die geliebten Rosen

ihren Duft verloren - damals

begann dein Sterben.

 

3.2.16

 

Die Abstinenten

 

Wir sind von einer ganz speziellen Sorte:
Wir sind die Treuesten im ganzen Lande.
Wir machen keine großen Widerworte.
Die Politik? Verläuft bei uns im Sande.

Uns ist egal, was die da oben treiben,
die machen alles doch zu unsrem Wohl.
Wir und der Straße uns verschreiben?
Nein, danke. Politik ist uns zu hohl.

Uns kann doch keiner, wir sind streng loyal.
Wir opponieren nicht, wir flüstern nur.
Von uns ist jeder so was von neutral!
Und Renitenz? Bei uns hier? Keine Spur!

Wir lieben unsre Kinder, unsre Frauen.
Das wird vielleicht doch noch gestattet sein!
Wir lassen uns von niemand was versauen!
Wir sind die Kleinen, unser Herz ist rein.

Natürlich sind wir treue Demokraten!
Wir schlagen nirgends Krach, wir bleiben stumm.
Von uns wird keiner jemals hochverraten!
Nur Esel nennen uns: So’n bissel dumm.

 

28.4.14

 

Der Neutrale

 

Er ist nach allen Seiten aufgeschlossen,

er schweigt sich aus, nennt oft sich gern neutral,

wähnt sich vom reinsten Glorienschein umflossen

und gilt als braver Mann, als hochloyal.

 

Er fühlt sich wohl zumeist nur in der Mitte

und ist als Philosoph auf Ausgleich streng bedacht.

Wenn zwei sich streiten, ist er prompt der Dritte -

weil Streiterei nur schlechte Aura macht.

 

Was Meinung angeht, ist er ein Verächter.

Die schafft bloß Feinde, wie er weise sagt,

wer eine Meinung hat, dem geht es schlechter

als einem vor Gericht, der angeklagt.

 

Man lernt: Man sollte keine Meinung haben,

sie schadet der Gesundheit bloß zumeist.

Wer noch was meint, der lasse sich begraben -

wie es beim Spötter Lichtenberg schon heißt.

 

27.2.14

 

Der Einsame

 

Verlassen ist der Wald, liegt tief im Schlaf,

und einsam folgst du halbverwischten Spuren.

Am Wegrand steht noch manch ein Epitaph,

sein Stein verlor vor langem die Konturen.

 

Da war der Abschied von den Weggenossen.

Er schmerzte dich, fast brach dein armes Herz.

Viel Zeit ist still seitdem hinweggeflossen,

und doch, dir blieb ein unbekannter Schmerz.

 

Du irrst umher, du suchst nach einem Licht.

Und durchs Geäst fällt kaum ein Widerschein,

die Bäume ächzen, wenn ein Ast abbricht.

Und Fuß setzt du vor Fuß, für dich allein.

 

Du gibst nicht auf, bist voller Zuversicht,

glaubst, jeder Schritt führt näher dich zum Licht.

 

19.5.13/14.5.14

 

Der Fortschrittsfeind

 

Die Welt verändert sich, man kommt ja kaum noch mit.

Ich frage mal: Wie soll denn das bloß weitergehen?

Wir preschen durch die Zeiten wie im Sauseschritt,

bald wird man von uns nur Staub und Wolken sehen.

 

Man kennt das ja, das setzt beinah schon Grünspan an:

Fast jeder von uns will das Rad noch mal erfinden.

Soll jeder, wie er denkt und will und wie er kann,

was heute neu, wird morgen schon verschwinden.

 

Ich bin vom Stamme Adam, brauch mein Paradies,

ich stricke lieber die mir schon bekannte Masche,

mehr will ich nicht, man lebt ganz gut auch ohne dies.

Nur was man sicher hat, das hat man in der Tasche.

 

25.11.13

 

Die Bescheidenen

 

Ja, was verlangen wir denn von der Welt?

Man existiert und fragt nicht lange nach,

ist ganz allein und bloß auf sich gestellt.

 

Man weiß, das eigne Innere liegt brach,

und pfeift sich eins in schönstem Moll und Dur,

es dreht der Erdball sich doch auch gemach.

 

Wir tun, als lebten wir mit der Natur

aus Plastik seit Jahrzehnten schon ganz gut.

Von Einsicht oder Reue keine Spur.

 

Für das Dagegensein braucht man viel Mut,

wir Kleinen legen keinen Wert darauf,

zaust auch mitunter uns mal etwas Wut.

 

Denn was wir haben, das genügt vollauf.

Und wer von uns, mal ehrlich, ist gern Held?

Die Helden sind gestorben doch zuhauf.

Ja, was verlangen wir denn von der Welt?

 

9.11.13/13.5.14